Schöner Schmerz und Krieg der Sterne

Braunschweiger Zeitung vom 31.10.2017, Rainer Sliepen

 

Klavierwerke aus Klassik und Romantik hatte Hans-Dieter Meyer-Moortgat auf sein Konzertprogramm gesetzt. Der Kleine Konzertsaal in der Spittastraße war sehr gut besetzt. Das Publikum weiß inzwischen, hier gibt es Besonderes.

 

Der Pianist und Organist Meyer-Moortgat liebt starke Kontraste, nicht nur innerhalb seiner Interpretationen, sondern auch in der Programmgestaltung.

 

Zu Beginn die Beethoven-Sonate Es-Dur op. 81 a, „Les Adieux“, die „Lebewohl- Sonate“. „Das ist Programmmusik“, sagt der Künstler. Bezogen auf die den drei Sätzen unterlegten Gemütsverfassungen ist das korrekt. Dennoch hat Beethovens Genie bei aller Trauer über den konkreten Anlass, die Flucht seines Freundes Erzherzog Rudolphs vor den napoleonischen Truppen, ein Stück reine Musik geschaffen.

 

„Mehr Ausdruck der Empfindung“ als bloße Illustrierung. Keine „Malerey“ eines alltäglichen Vorgangs, um Beethoven selbst zu zitieren.

 

Der Pianist führt sein Publikum durch alle Stadien eines schmerzvollen Abschieds. Zögernd wie eine Selbstbefragung breitet Meyer-Moortgat den Schleier schönen Schmerzes aus. Fast behutsam entwickelt sich das Thema. Passagen ohne Pedaleinsatz verstärken die Gebrochenheit.

 

Doch dann die Gegensätze. Der innere Kampf. Wiederum wechseln die Empfindungen. Liebliche Passagen, wie hingestreichelt. Töne tropfen trostlos. Und dann rauschhaft hingedonnerte Akkorde, ein Liebesgesang, parallel geführte Stimmen als Konsens der Herzen. Wahrhaft eine absolute Musik!

 

Völlig anders der französische Spätromantiker Maurice Duruflé mit seiner Orgel- Suite op. 5. Und dann ist er da, der Künstler als Entfesseler und Bändiger der Klanggewalten. Ein Stück, wie mit breitem Pinsel auf eine überdimensionierte Leinwand hingeworfen.

 

Spannungsvoll das Prélude. Ein durchlaufender mächtiger Bass. Archaisch. Wie ein Dies Irae. Krieg der Sterne oder Jurassic Park. Schalmeienartig mit wunderbar silbrigen Registern das Sicilienne, weich wiegend, losgelöst von Konflikten, schwebend.

 

Und schließlich die Toccata. Eine Orgie, ein Taumel durch die Klangwelten, Akkorde wie Aufschreie, Bässe brüllen auf, die Stimmen scheinen sich einen Kampf zu liefern. Schließlich ein langgezogener Akkord. Das Finale. Atemholen. Mit sparsameren harmonischen Mitteln gelangt Fréderic Chopin in seinem Scherzo b-moll zu ähnlichen Effekten. Allein mit den beiden Auftakt-Triolen ist die Stimmung da, gespenstisch geisterhaft.

 

Meyer-Moortgat stellt auch hier die Gegensätze blockhaft gegenüber, in der Dynamik, im Ausdruck. Lieblich singt das Trio, bis die Anfangsstimmung mit Dramatik und pathetischer Überhöhung das Werk beschließt.

 

Langer begeisterter Beifall. Eine Zugabe.